Im Gespräch über das Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg

Die Projektleiter an den beiden Fraunhofer-Instituten, Dr. Thomas Wellens und Dr. Christian Tutschku, sprechen im Interview über das dynamische Forschungsfeld des Quantencomputings. Dabei blicken sie auf eine erste erfolgreiche Förderphase des Kompetenzzentrums durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg zurück und schauen gemeinsam voraus.

In den Medien ist oft die Rede von Durchbrüchen im Quantencomputing. Wie erlebt ihr die aktuelle Forschungslandschaft?

Wellens — Ich habe diesen Hype auch wahrgenommen und es ist wirklich ein sehr interessantes und vielversprechendes Forschungsgebiet. Aber es ist wichtig, dass man nicht zu viel verspricht. Aus meiner Sicht ist noch einiges an Grundlagenforschung nötig, bevor das Quantencomputing in die Anwendung kommen kann. Man liest häufig, dass sich alles Mögliche durch Quantencomputing revolutionieren wird – Stichwort Big Data –, aber oft ist noch gar nicht klar, in welchen Fällen es einen wirklichen Vorteil bringen wird. Das gilt es noch herauszufinden.

Tutschku — Genau wie Thomas sagt: News, die eine falsche Erwartungshaltung schaffen, sind insbesondere im anwendungszentrierten Quantencomputing immer schwierig. Es gibt zwar ständig Durchbrüche: Das Quantenvolumen steigt zum Beispiel kontinuierlich und neue Techniken wie »Circuit knitting« bringen uns näher an einen echten Quantenvorteil heran, aber man muss dabei immer Expectation Management betreiben. Auch wenn sich in den letzten Jahren sowohl seitens Software- als auch Hardware-Entwicklung unfassbar viel getan hat, können wir die Welt heute noch nicht mit Quantencomputing verändern.

Porträt Dr. Christian Tutschku Fraunhofer IAO
© Fraunhofer IAO | Ludmilla Parsyak
Dr. Christian Tutschku leitet das Team Quantencomputing am Fraunhofer IAO
Porträt Dr. Thomas Wellens
© Fraunhofer IAF
Dr. Thomas Wellens leitet die Gruppe Quanteninformation am Fraunhofer IAF

Was steht einem echten Quantenvorteil noch im Weg?

Tutschku — Wir befinden uns beim Quantencomputing in der sogenannten NISQ-Ära (Noisy Intermediate-Scale Quantum), das heißt, die Systeme sind fehleranfällig und noch nicht mit großer Rechenleistung verfügbar. Das macht es schwierig, einen echten Quantenvorteil zu beweisen. Wir können bisher mit Heuristiken arbeiten, um auf der Softwareseite einen Vorteil zu zeigen.

Wellens — Hinzu kommt, dass es erst noch die Algorithmen zu finden gilt, die einen tatsächlichen Vorteil darstellen. Es gibt zwar Algorithmen, wie den Shor-Algorithmus, bei dem ein Quantenvorteil theoretisch bewiesen ist, aber lediglich unter der Annahme, dass keine Rechenfehler auftreten – davon sind wir noch weit entfernt. Eine Herausforderung ist es daher, herauszufinden, ob wir trotz der fehlerbehafteten Hardware bereits in näherer Zukunft einen Quantenvorteil in der Anwendung erreichen können. Gleichzeitig besteht auf Seiten der Hardware die Herausforderung darin, die Fehler zu reduzieren und die Quantenfehlerkorrektur zum Laufen zu bringen. 

Tutschku — Dabei ist es wichtig, ein Hardware-Software-Co-Design zu betreiben, also sowohl die Fehler als auch die Skalierbarkeit auf Hardwareseite immer mitzudenken. Außerdem muss bei der Problemformulierung ein Umdenken stattfinden – von einem klassischen, deterministischen Denken hin zu probabilistischen Lösungsstrategien, die von Anfang an ›Quantum‹ gedacht werden. Man kann das Quantencomputing nicht einfach auf bestehende Problemformulierungen anwenden, sondern muss diese entsprechend anpassen.

Was zeichnet das Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg aus?

Tutschku — Das Quantencomputing bildet ein sehr großes Ökosystem, in dem viele kleine Zahnräder ineinandergreifen. Diese Forschung voranzubringen, ist eine Aufgabe, die keine Gruppe allein bewältigen kann und nur gemeinsam zu lösen ist. Das ist die Grundidee des Kompetenzzentrums: alle Parteien von Anfang an mitnehmen und in enger Zusammenarbeit das Forschungsfeld vorantreiben. Wir vereinen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedensten Branchen, von der Grundlagenforschung an den Universitäten hin zu anwendungszentrierten Forschungsgruppen der Fraunhofer-Gesellschaft. Hinzu kommen Unternehmen als assoziierte Partner, und schließlich steht hinter allem die Politik des Landes Baden-Württemberg, die das Kompetenzzentrum maßgeblich unterstützt und unsere Vorhaben fördert. Nur so ist es möglich, in dem dynamischen Forschungsfeld nicht abgehängt zu werden.

IBM Quantencomputer goldorange auf schwarzem Hintergrund mit Schriftzug "Fraunhofer Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg"
Das Fraunhofer IAF (Freiburg) koordiniert das Fraunhofer Kompetenzzentrum »Quantencomputing Baden-Württemberg« gemeinsam mit dem Fraunhofer IAO (Stuttgart).

Wie funktioniert die Zusammenarbeit in einem so interdisziplinären Forschungszentrum wie dem KQCBW?

Wellens — Die Zusammenarbeit läuft gut und es findet Austausch über die Projektgrenzen hinaus statt. Die einzelnen Fraunhofer-Institute und Universitäten sind teilweise in mehreren Projekten vertreten, woraus sich Synergien ergeben. Manche Forschungsfragen tauchen in mehreren Projekten auf, wie zum Beispiel Fehlermitigation oder Optimierung des QAOA-Algorithmus, wodurch letztlich alle voneinander profitieren können.

Tutschku — Eine Besonderheit der Zusammenarbeit im KQCBW ist vor allem der Spirit. Die Leute im Kompetenzzentrum arbeiten eng und mit einer besonderen Motivation zusammen. Sie nehmen den Ist-Zustand an und verbessern ihn gemeinsam. Dabei arbeiten alle sehr offen und eng miteinander,was nicht selbstverständlich ist, da man sich in der Forschung vor Veröffentlichungen sonst oft bedeckt hält und ein Konkurrenzdenken herrscht. Im Kompetenzzentrum besteht ein besonderes Vertrauen zueinander – man teilt Ideen und spricht offen über diese. Das bildet ein sehr innovatives Umfeld.

Rückblickend auf fast drei Jahre Kompetenzzentrum: Was ist euer Highlight?

Wellens — Wir haben starke Konsortien gebildet, in denen viele Parteien zusammenkommen, um gemeinsam in Verbundprojekten zu forschen. Diese Grundlage geschaffen zu haben, ist ein Highlight für mich. In den Projekten selbst haben wir viele Fortschritte gemacht und ich hoffe darauf, dass wir weiter interessante Ergebnisse bekommen, die sichtbar machen, wie groß die Kompetenzen sind, die wir aufgebaut haben. Das ›eine‹ große wissenschaftliche Highlight steht zwar noch aus, aber wir sind auf dem Weg dahin.

Tutschku — Wir hatten viele Highlights, aber die Developer Conference, die wir im Herbst 2021 veranstaltet haben, war für mich etwas ganz Besonderes. So eine Konferenz gab es in dieser Form meines Wissens noch nicht, weder in Baden-Württemberg noch in Deutschland. Die Teilnehmenden aus den Forschungsbereichen Quantencomputing Soft- und Hardware sind sich an zwei Tagen offen begegnet. Den Spirit an der Veranstaltung zu fühlen, wie über 80 höchstausgebildete Forschende zusammenkommen und an einem Strang ziehen, das war großartig und hat mir gezeigt: Es ist nicht eine Frage ob, sondern nur wann im Quantencomputing in Baden-Württemberg etwas ganz Großes geht.

Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg

Arbeitet an Hardware eines Quantencomputers
© IBM Research
Forschende und Unternehmen können den Quantencomputer in Ehningen im Rahmen der Verbundprojekte des Kompetenzzentrums »Quantencomputing Baden-Württemberg« nutzen.

Um die anwendungsnahe Forschung zum Quantencomputing voranzutreiben, hat die Fraunhofer-Gesellschaft ein nationales Netzwerk auf Basis von regionalen Kompetenzzentren gegründet. Teil dieses Fraunhofer-Kompetenznetzwerks ist das Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg (KQCBW), in dessen Rahmen der erste IBM-Quantencomputer auf deutschem Boden installiert wurde. Dieser steht Industrieunternehmen, kleinen und mittelständischen Unternehmen, Start-ups sowie akademischen Einrichtungen für den anwendungsbezogenen Einsatz zur Verfügung. Das KQCBW wird vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF gemeinsam koordiniert. Damit Quantencomputer schnellstmöglich in den industriellen Einsatz kommen und um den Wissenstransfer in die Industrie zu fördern, bietet das Kompetenzzentrum zudem eine Schulungsreihe an.

Weitere Informationen

Quantencomputing am Fraunhofer IAF

 

Eine Übersicht über die Forschungsarbeiten des Fraunhofer IAF im Bereich des Quantencomputings erhalten Sie hier.

Quantensensorik am Fraunhofer IAF

Wir erforschen Diamant für die Quantensensorik.

Kompetenzzentrum Quantencomputing

Wir koordinieren mit dem Fraunhofer IAO das Kompetenzzentrum »Quantencomputing Baden-Württemberg«.