Wie gelingt die Entwicklung eines energieeffizienten 6G-Mobilfunks?

Während der Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes in Deutschland immer weiter vorankommt, arbeiten Forschung und Industrie bereits an der nächsten Mobilfunkgeneration: 6G. Im Interview sprechen Wolfgang Templ, Abteilungsleiter »Radio Transceiver Devices« bei Nokia Bell Labs, und Michael Mikulla, Geschäftsfeldleiter Leistungselektronik am Fraunhofer IAF, über den Aspekt der Energieeffizienz sowie über den Nutzen, die Risiken und die Hürden des zukünftigen Mobilfunks.

Wolfgang Templ
© Nokia Bell Labs
Dr. Wolfgang Templ, Abteilungsleiter »Radio Transceiver Devices« bei Nokia Bell Labs

Nachhaltigkeit und 6G – ist das nicht ein Widerspruch?

Templ — Nein, ganz im Gegenteil. 6G zielt ja auf die Verbesserung der Nachhaltigkeit und insbesondere der Energieeffizienz. Das ist auch aus technischen Gründen wichtig. Da überschüssige Energie weggekühlt werden muss, sind viele Systeme groß, schwer und dadurch teuer. 5G hat bereits einen Fortschritt um den Faktor zehn gebracht und wir gehen davon aus, dass wir bei 6G noch eine deutliche Verbesserung der Energieeffizienz erreichen.

Mikulla — Und natürlich kommt es auch auf die Anwendung an. Wenn man durch 6G-Technologien beispielsweise Operationen und Reparaturen remote durchführen lassen kann und sich damit das Reisen spart, ist das ein sinnvoller Beitrag. Es gibt viele Anwendungsszenarien, in denen man die Bandbreite, Lokalisierungsmöglichkeiten und Latenzzeiten von 6G braucht und damit woanders viel Energie einsparen kann. 

Templ — Genau! Beispielsweise nutzt die Lufthansa in Hamburg bereits ultrahochauflösende Videocalls für die Flugzeugwartung aus der Ferne. Die Techniker müssen nicht mehr extra anreisen. Der Aspekt der Hebelwirkung ist gewaltig.

Michael Mikulla
© Fraunhofer IAF
Dr. Michael Mikulla, Geschäftsfeldleiter Leistungselektronik am Fraunhofer IAF

Wo wird in Mobilfunksystemen die meiste Energie verbraucht?

Templ — In klassischen Systemen unterhalb von 6 GHz verbraucht der Transceiver selbst am meisten. Vor 15 Jahren hatten wir noch Effizienzwerte von ca. 20 Prozent – das heißt, dass nur maximal 20 Prozent der Energie genutzt werden konnte. Inzwischen können wir zumindest in der Forschung bis zu 70 Prozent erreichen. Bei hohen Frequenzen von über 26 GHz und im Millimeterwellenbereich kommen wir allerdings lediglich auf etwa zehn Prozent. Diese Systeme haben eine ganz andere Netzwerkarchitektur; sie bestehen aus vielen kleinzelligen Systemen mit kurzen Reichweiten und obwohl die einzelnen Transceiver eine niedrige Ausgangsleistung haben, ist der Verbrauch in der Summe dann doch enorm. An diesem Punkt arbeiten wir gemeinsam mit dem Fraunhofer IAF daran, eine deutliche Steigerung der Energieeffizienz in Richtung 20 Prozent zu erreichen.

Mikulla — Im Projekt »Edge Limit – Green ICT« versuchen wir herauszufinden, wieviel CO2 wir unter realen Bedingungen einsparen könnten. Bei 30 GHz sind die 20 Prozent auf MMIC-Ebene durchaus denkbar und in größeren Stückzahlen produzierbar. Aber mit der Steigerung der Frequenz nimmt die Effizienz deutlich ab. Also wenn wir die Frequenz verdoppeln, sind wir wahrscheinlich nur noch bei zehn Prozent.

Templ — Auch die digitale Signalverarbeitung und Netzwerksteuerung sind sehr energieaufwändig. Früher wurde eine Basisstation beispielsweise nicht dynamisch der Verkehrslast angepasst, um dem unterschiedlichen Verkehrsaufkommen gerecht zu werden. Nachts um zwei Uhr gibt es natürlich deutlich weniger Gespräche als tagsüber. Diese Schwankungen der Netzauslastung entsprechend auszunutzen, ist ein ganz wichtiger Beitrag zu mehr Energieeffizienz.

Herr Templ, bei Nokia Bell Labs heißt es: »6G soll die menschliche, physische und digitale Welt verbinden.« Was bedeutet das?

Templ — Im Prinzip geht es darum, dass sich die Technologie weiter dem Menschen anpasst und wir eine engere Verbindung von Mensch und Maschine bekommen. In der Praxis sind das zum Beispiel sogenannte Wearables, die man in der Kleidung oder auf der Haut tragen kann. In der ferneren Zukunft geht das in Richtung Bioimplants und Brain Computer Interface. Heute klingt das für uns noch sehr fremd, aber solche Technologien könnten im medizinischen Bereich sehr viel ermöglichen. Außerdem gehören auch Konzepte wie Joint Communication and Sensing, die Verbindung von Sensorik und Kommunikation, Digital Twins, die natürliche Mensch-Maschine-Interaktion oder die holografische Telepräsenz dazu. Videokonferenzen, wie wir sie gerade führen, werden viel naturgetreuer stattfinden können. Je mehr die virtuelle mit der realen Welt verknüpft wird, desto stärker müssen auch die Themen Security und Trustworthiness in diese Technologien eingewoben werden.

Das hört sich an, als würden zukünftig Maschinen vermehrt die Kontrolle übernehmen.

Templ — Ich kann sehr gut verstehen, wenn es uns bei manchen Begriffen unheimlich wird – denn, wie die meisten Technologien, können auch diese missbraucht werden. Angesichts ihres überwiegenden Nutzens sollte man derartige Technologien nicht bannen, sondern dieses Problem kommunizieren und verantwortungsvoll damit umgehen. Nur dann, wenn ein Missbrauch wahrscheinlich und die Konsequenzen gravierend wären, muss man sich eventuell dazu entscheiden, auf eine Technologie zu verzichten. Aber ich fürchte, dass jede Technologie, die umgesetzt werden kann, auch realisiert wird. Und wenn Menschen aufgrund ihres Verantwortungsgefühls die Finger davon lassen, dann machen es andere.

An welchen Schlüsseltechnologien arbeiten wir gerade?

Mikulla — Am Fraunhofer IAF entwickeln wir Komponenten und können auf einem technologisch hohen Niveau High-End-Lösungen anbieten, die man noch nicht kaufen kann. Natürlich können wir keine Netze ausrüsten, aber für Unternehmen wie Nokia können wir im Labor Dinge unter realistischen Bedingungen ausprobieren. Das verschafft einen gewissen Vorsprung, oder anders gesagt, man nimmt eine Abkürzung in der Entwicklung komplexer Systeme. Außerdem entwickeln wir hochwertige Komponenten für Messgeräte, die man für die Entwicklung von Bauteilen braucht. Hier planen wir eine sehr enge Kooperation mit Rohde & Schwarz im Rahmen von »IPCEI«. Und wir werden dieses Jahr im Projekt »EIVE« gemeinsam mit unseren Partnern einen GaN-basierten Leistungsverstärker ins All schießen, der zum ersten Mal im E-Band und unter realen Bedingungen höhere Datenströme übertragen soll.

Wo liegen die größten technologischen Herausforderungen bei der 6G-Entwicklung?

Templ — Ganz allgemein gilt: »Je höher Frequenz und Bandbreite, desto geringer ist die Reichweite.« Die Ausbreitungsbedingungen nähern sich denen der optischen Sichtverbindungen an und das macht die Konzeption der Systemarchitektur sehr schwierig. Außerdem muss die Architektur der Datenverarbeitung optimiert werden, stets unter Beachtung des allumspannenden Themas Energieeffizienz.

Was kommt nach 6G?

Beide — 7G! (lachen)

Geht es überhaupt noch schneller?

Mikulla — Letztens habe ich gehört, dass, als Goethe damals mit der Postkutsche in 14 Tagen von Karlsbad nach Italien gereist war, er von einer »unmenschlichen Geschwindigkeit« gesprochen hat!

Templ — Vor etwa zehn Jahren hieß es noch, die schnellste Möglichkeit, 10 TB Daten von München nach Hamburg zu transportieren, wäre immer noch der Transport der Festplatte mit dem Auto. Heute ist das nicht mehr so, unsere Netze schaffen das.

Mikulla — Wir als Menschheit passen uns an und wir verändern uns auch. Die Generation unserer Kinder wird eine andere sein als unsere. Davor muss man keine Angst haben, aber man kann es nicht vorhersehen.

 

Jahresbericht 2021/2022

»Inventing a Green Future«

Energieeffiziente Mikro- und Nanoelektronik für eine klimaneutrale, sichere und unabhängige Zukunft.

Elektronik basierend auf III/V-Halbleitern

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